VGH München: Nach 3 Jahren muss Betroffener nicht mehr mit Konsequenzen aus Nichtvorlage eines Fahreignungsgutachtens rechnen

StVG § 3 I; FeV §§ 11 III 1 Nr. 7, VIII, 46 I; VwGO § 80 V

Über drei Jahre nach Erlass einer Begutachtensanordnung muss der Betroffene nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs München nicht mehr damit rechnen, dass die Fahrerlaubnisbehörde noch Konsequenzen aus der Nichtvorlage des geforderten Gutachtens zieht. Außerdem entschied das Gericht, dass die Übersendung nicht verwertbarer Aktenbestandteile die Unverwertbarkeit eines darauf beruhenden Gutachtens zur Folge haben kann.

VGH München, Urteil vom 06.10.2016 - 11 CS 16.1523 (VG Würzburg), BeckRS 2016, 53200

Sachverhalt

Der 1989 geborene Antragsteller und Beschwerdeführer wendet sich gegen die sofortige Vollziehbarkeit der Entziehung seiner Fahrerlaubnis der Klasse B. Die Antragsgegnerin hatte ihm diese Fahrerlaubnis am 08.06.2007 erteilt.

Im Jahr 2012 beantragte er die Erteilung einer Fahrerlaubnis der Klasse A. Im Mai erhielt die Behörde einen Auszug aus dem (damaligen) Verkehrszentralregister. Daraus ergab sich, dass der Antragsteller am 11.01.2010 einen Strafbefehl wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis mit einer Geldstrafe von 25 Tagessätzen erhalten hatte, weil er an seinem Motorroller die Zündanlage zur Veränderung der Leistung geändert hatte, sodass er eine maximale Geschwindigkeit von 58 km/h fahren konnte. Aus dem Strafregisterauszug ergaben sich zudem eine Verurteilung wegen Beleidigung im Jahr 2010 und eine Verurteilung wegen vorsätzlicher Körperverletzung zu 90 Tagessätzen im April 2012, die beide keinen straßenverkehrsrechtlichen Bezug hatten.

Im November 2012 forderte die Antragsgegnerin nunmehr die Vorlage eines medizinisch-psychologischen Gutachtens bis zum 28.01.2013. In der Anordnung sind zur Begründung die drei genannten Taten aufgeführt. Noch im Januar 2013 nahm der Antragsteller seinen Antrag auf Erteilung der Fahrerlaubnis Klasse A zurück.

Im Herbst des gleichen Jahres wurde er von der Behörde wegen der Nichtvorlage des Fahreignungsgutachtens angehört. Im Mai 2015 wurden in seiner Wohnung 0,2 Gramm Marihuana gefunden; die Staatsanwaltschaft stellte das Verfahren ein. Im Januar 2016 wurde eine Ecstasy-Tablette neben dem Beschwerdeführer auf der Straße gefunden, jedoch konnte sie ihm nicht zugeordnet werden.

Im Februar 2016 wurde erneut unter Wiederholung der Begründung aus dem Jahr 2012 die Vorlage eines medizinisch-psychologischen Gutachtens angefordert. Dem Beschwerdeführer wurde zudem ein Drogenkontrollbogen mitgegeben, den er freiwillig ausfüllte. Er wies darauf hin, dass er seit vielen Jahren keine Drogen konsumiert habe. Im Übrigen fahre er seit 2009 punktefrei und auch ohne sonstige weitere Vorkommnisse.

Jetzt teilte die Behörde mit, dass zwar an der Eignungsüberprüfung wegen Drogenkonsums nicht mehr festgehalten werde, aber die MPU sei weiterhin erforderlich. Das Gutachten wurde nicht vorgelegt. Die Antragsgegnerin entzog im Mai 2016 die Fahrerlaubnis und ordnete den Sofortvollzug an. Der Antragsteller legte Beschwerde ein. Das Verwaltungsgericht lehnte den Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ab. Gegen diesen Beschluss richtet sich nun die Beschwerde.

Rechtliche Wertung

Mit der Beschwerde hatte der Antragsteller Erfolg. Die aufschiebende Wirkung wurde vom VGH wieder hergestellt.

Im weit überwiegenden Maße seien die Taten überhaupt nicht mehr verwertbar gewesen, weil Tilgungsreife eingetreten sei. Nachdem Fahrerlaubnisbehörden keinen Anspruch auf eine unbeschränkte Auskunft aus dem Bundeszentralregister hätten und Eintragungen, die in ein Führungszeugnis nicht aufgenommen werden, auch nicht an die Führerscheinbehörde herausgegeben werden dürften, könnten die Taten, die zwar im Register noch eingetragen, aber im Führungszeugnis nicht mehr aufgeführt würden, im Fahrerlaubnisverfahren regelmäßig nicht verwertet werden. Im Zeitpunkt der Anordnung der Beibringung eines Gutachtens der MPU seien die Taten sämtlich tilgungsreif gewesen.

Es komme hinzu, dass der Antragsteller nach so langer Zeit nicht mehr damit habe rechnen müssen, dass die Behörde aus der Nichtvorlage des Gutachtens über drei Jahre nach Erlass der Begutachtensanordnung noch Konsequenzen ziehen werde. Die Antragsgegnerin habe dies wohl auch selbst erkannt, weil sie im Jahr 2016 eine neue Anordnung erlassen habe, jedoch mit der alten Begründung.

Praxishinweis

Die Entscheidung wird hier vorgelegt, weil sich der VGH mit Tilgung und Tilgungsreife eingehend beschäftigt. Wenn eine Behörde drei Jahre lang keine Konsequenzen aus einer Anordnung zieht, darf man darauf vertrauen, dass «die Sache erledigt ist».

Redaktion beck-aktuell, Verlag C.H.BECK, 15. November 2016

November 2016